05.01.2009 - OLG Schleswig, Az: 1 W 57/08
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INHALT INTERNETSEITEN
HILFREICH:
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EIGENER LEITSATZ:
- Streitwert bei E-Mail-Spam betragt 4500 Euro
THEMA:
- Internetrecht Allgemein
RECHTSNORMEN:
- § 3 ZPO, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB, § 34 BDSG
VOLLTEXT:
OLG Schleswig
1 W 57/08
05.01.2009
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERLANDESGERICHT
Beschluss
In dem Rechtsstreit
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Landgerichts Kiel vom 21. Oktober 2008 geändert.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwalt … beigeordnet, aber mit der Maßgabe, dass die aus der
Landeskasse zu zahlende Vergütung auf die Gesamtvergütung begrenzt ist, die an
einen im Bezirk des Schleswig-
Holsteinischen Oberlandesgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt sowie an einen
Verkehrsanwalt zu zahlen wäre (§ 121 Abs. 4 ZPO).
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage auf
Unterlassung der Zusendung von E-mails durch die Beklagte, Auskunft darüber, ob
die Beklagte persönliche Daten über den Antragsteller gespeichert bzw. an
Dritte weitergegeben hat, sowie Freistellung von den Gebühren des Prozessbevollmächtigten
für dessen vorgerichtliche Tätigkeit im Rahmen eines einstweiligen
Verfügungsverfahrens.
Die Antragsgegnerin übersandte dem Antragsteller am 27. März 2008 eine E-mail,
mit der dieser unter dem „subject: Kennst du mich noch?" auf einen
angeblichen Gewinn eines kostenlosen Zugangs zu dem unter www.... betriebenen
Single-Kontaktmarkt aufmerksam gemacht wurde. Der Antragsteller hatte wegen
erwarteter Posteingänge im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren se in
E-Postfach so eingestellt, dass er über jeden Eingang eine SMS-Nachricht auf
sei n Handy erhielt. Nachdem die Antragsgegnerin auf ein vorgerichtliches
Anwaltsschreiben nicht reagierte, leitete der Antragsteller ein einstweiliges
Verfügungsverfahren ein, in dem der Antragsgegnerin mit Urteil vom 5. Juni 2008
untersagt wurde, dem Antragsteller
unaufgefordert Werbe-E-Post an seine E-Post-Adresse zu senden.
Die für das nunmehr beabsichtigte Hauptsacheverfahren begehrte
Prozesskostenhilfe hat das Landgericht versagt mit der Begründung, die
beabsichtigte Klage sei zum einen bezogen auf das Unterlassungsbegehren
mutwillig. Zum anderen erreiche der Wert des Streitgegenstandes auch unter
Hinzurechnung der weiteren Anträge die Grenze für die Zuständigkeit des
Landgerichts nicht, so dass die beabsichtigte Klage unzulässig sei. Dagegen
richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der das Landgericht
nicht abgeholfen hat.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss ist
gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Prozesskostenhilfe wird gewährt,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat
(2.), der Antragsteller nach s einen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen nicht in der Lage ist (3.), die Prozesskosten zu tragen und die
Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint (1.) (§ 114 ZPO). Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
1. Die auf Unterlassung und Auskunft sowie Freistellung gerichtete beabsichtigte
Klage ist nicht mutwillig.
Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht
hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Klageziel auf einfacherem Wege
erreicht werden kann (Zöller-Philippi, 27. Aufl., § 114 Rn. 31). Davon geht
das Landgericht aus, indem es den Antragsteller auf die Möglichkeit der
zwangsweisen Durchsetzung des bereits erlangten Urteils im einstweiligen
Verfügungsverfahren nach § 890 ZPO verweist und das Rechtsschutzbedürfnis
für das Hauptsacheverfahren verneint.
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine
Hauptsacheklage nach einstweiligem Verfügungsverfahren fehlt nur dann, wenn der
Verfügungsbeklagte auf alle Rechte gegen die einstweilige Verfügung verzichtet
(Zöller-Vo llkommer, 27. Aufl., § 926 Rn. 4). Nur dann hat die einstweilige
Verfügung dieselbe endgültige Wirkung wie ein Urteil in dem
Hauptsacheverfahren, das dann entbehrlich wird. Von einem derartigen Verzicht
kann vorliegend indes nicht ausgegangen werden. Zwar hat der Antragsgegner gegen
das Urteil in dem einstweiligen Verfügungsverfahren - soweit bekannt - keine
Berufung eingelegt. Auf die Rechte aus § 926 ZPO (Anordnung der Klagerhebung)
und aus § 927 ZPO (Aufhebung wegen
veränderter Umstände) hat der Antragsgegner jedoch nicht verzichtet. Im
Gegenteil hat der Antragsgegner trotz Aufforderung eine Abschlusserklärung
dahingehend, dass er das Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren als
endgültige Regelung anerkenne, gerade nicht abgegeben. In einem solchen Fall
würde auch eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ein
Hauptsacheverfahren betreiben, um einen dauerhaften Titel zu erlangen und eine
Änderung oder Aufhebung des Urteils im einstweiligen Verfügungsverfahren
auszuschließen.
2. Die Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage vor dem Landgericht ist
ebenfalls gegeben.
a. Die Zulässigkeit der beabsichtigten Klage kann auch nicht im Hinblick auf
die sachliche Zuständigkeit verneint werden. Der Streitwert aller
angekündigten Anträge zusammen (vgl. § 5 ZPO) übersteigt den maßgeblichen
Wert von 5.000,-- EUR. Im Einzelnen:
Der Streitwert für den Unterlassungsanspruch ist gemäß § 3 ZPO nach freiem
Ermessen festzusetzen. Er richtet sich nach dem, was die Partei begehrt und mit
ihrem Antrag erreichen will (Zöller-Herget, 27. Aufl., § 3 Rn. 2). Bei
Unterlassungsansprüchen ist maßgebend die zu schätzende Beeinträchtigung des
Unterlassungsgläubigers. Für die Bemessung ist in ers ter Linie dessen
wirtschaftliches eigenes Interesse an der Anspruchsverwirklichung maßgebend.
Dieses Interesse ist nach der Gefährlichkeit der zu unterbindenden Handlung,
nach dem Ausmaß des drohenden Schadens und dem Verschuldensgrad zu bestimmen
(Schmittmann, JurBüro 2003, S. 398). Es hängt dam it insbesondere von der
Häufigkeit der zu unterlas senden Handlung und deren Wirkung bei dem
Unterlassungsgläubiger ab.
In der Rechtsprechung wird die Bewertung des Unterlassungsinteresses gegenüber
unerwünschter E-mail-Werbung sehr unterschiedlich bewertet. Die Festsetzungen
reichen von 350,-- EUR für die Untersagung von E-mail-Werbung in einem
einstweiligen Verfügungsverfahren bis zu 15.000,-- EUR bei Zusendung von
E-mails an einen Journalisten. Es wird verwiesen auf die Nachweise in der
Kommentierung von Zöller (Zöller-Herget, 27. Aufl., § 3 Rn. 16 „Unterlass
ung"), die Ausführungen von Schmittmann (a.a.O., S. 400) sowie
dieDarstellung in dem als Anlage K 6 eingereichten Beschluss des Kammergerichts
vom 27. Februar 2007 (Az.: 21 W 7/07). Der Senat teilt dessen Auffassung, dass
nicht nur die Belästigung im Einzelfall durch das notwendige Durchlesen,
Sortieren und ggf. Löschen der E-mails, sondern auch die Breitenwirkung und das
häufige Erscheinen solcher Zusendungen, die in ihrer Gesamtheit das Ausmaß der
Belästigung erst bestimmen, zu berücksichtigen sind. Dem Absender ist gerade
bewusst, dass er sich einer massenhaft auftretenden, von den Betroffenen
mindestens als belästigend empfundenen Vorgehensweise bedient. Die
Nachahmungsgefahr ist bei einer derartigen, für den Absender einfachen und
kostengünstigen Werbemöglichkeit groß, so dass nicht nur die Unterlassung im
Einzelfall das Ziel der begehrten Unterlassung, sondern auch ein
Abschreckungseffekt für die Zukunft beabsichtigt ist.
Darüber hinaus gebieten hier auch die Umstände des Einzelfalles eine nicht zu
geringe Festsetzung des Wertes. Es ist zu berücksichtigen, dass der
Antragsteller nicht nur durch die E-mail, sondern auch durch die anschließende
Nachricht per SMS auf seinem Handy belästigt wurde. Sofern das Landgericht
diese Wirkung als von dem Antragsteller selbst veranlasst bei der Bemessung des
Streitwertes nicht mit einbeziehen will, ist dem nicht zuzustimmen. Maßgebend
ist die tatsächliche Belästigung des Unterlassungsgläubigers. Dessen eigene
Handlungen, die die Beeinträchtigung verstärken, können die Zurechnung zu der
Handlung des Unterlassungsschuldners nur entfallen lassen, wenn sie derart
ungewöhnlich sind, dass es Treu und Glauben widerspräche, sie und die dadurch
verstärkte Belästigung dem Unterlassungsschuldner anzulasten. Das ist indes
vorliegend nicht der Fall. Der auf dem Handy des Antragstellers per SMS
erschienene Hinweis auf die E-mail-Nachricht ist nicht so ungewöhnlich. In der
gegebenen Bewerbungssituation des Antragstellers ist nachvollziehbar, dass
dieser alle technischen Möglichkeiten nutzt, um kurzfristig erreichbar zu sein.
Damit musste die Antragsgegnerin auch bei Privatpersonen rechnen. Die Zurechnung
der gesamten durch die E-Mail-Zusendung ausgelösten Beeinträchtigung
widerspricht Treu und Glauben nicht, so dass auch dieser Gesichtspunkt Einfluss
auf die Bemessung des Streitwertes haben muss. Die Belästigung durch SMS ist
nach Auffassung des Senats noch stärker als die durch E-mails. E-mails können
gesammelt und dann zu beliebiger Zeit gelesen werden, während SMS den
Empfänger sofort und in jeglicher Situation erreichen (vgl. auch Schmittmann,
a.a.O., S. 401).
Der Senat hält daher den von dem Antragsteller angegebenen Wert von 4.500,--
EUR für das einmalige Zusenden einer E-mail und die dadurch ausgelöste
SMS-Nachricht f ür angemessen. Dem entspricht auch der 3.000,-- EUR
festgesetzten Streitwert für das einstweilige Verfügungsverfahren. Das
einstweilige Verfügungsverfahren kann hier, da es sich um eine
Leistungsverfügung handelt, die aber dennoch nicht die volle
Wirkung eines
Hauptsacheverfahrens erreicht, mit 2/3 des Hauptsachewertes bemessen werden.
Für die Auskunftsanträge geht der Antragsteller von je 200,-- EUR pro Frage
aus, was eher moderat erscheint und vom Landgericht ebenfalls als gering
angesehen wird. Aber selbst auf dieser Grundlage sind für den
Auskunftsantrag 400,-- EUR und für den Freihaltungsantrag 546,69 EUR
hinzuzurechnen, sodass die Streitwertgrenze von 5.000,-- EUR bei
Zusammenrechnung aller drei Anträge überschritten wird. Die beabsichtigte
Klage ist daher auch vor dem Landgericht zulässig.
b. Es liegt auch die notwendige Erfolgsaussicht für die Begründetheit der
beabsichtigten Klage vor. Die Antragsgegnerin hat sich trotz Anhörung durch das
Landgericht nicht gemeldet, sodass derzeit das Vorbringen des Antragstellers als
unstreitig anzusehen ist. Dieses Vorbringen trägt seine geltend gemachten
Begehren. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich auf Grund der in der
unerwünschten Zusendung von E-mail und SMS zu sehenden Verletzung des
Persönlichkeitsrechts aus §§ 1004, 823 BGB (vgl. Palandt-Sprau, 68. Aufl., §
823 Rn. 117 und Palandt-Bassenge, 68. Aufl., § 1004 Rn. 10 jeweils mit weiteren
Nachweisen). Der Auskunftsanspruch folgt aus § 34 BDSG. Grundlage des Anspruchs
auf Freistellung ist § 823 Abs. 1 BGB.
3. Die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe notwendige n persönlichen
Voraussetzungen sind gegeben. Der Antragsteller ist auf Grund seiner Einkommens-
und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung zu
tragen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet ( § 127 Abs. 4 ZPO).