10.12.2009 - BGH, Az: I ZR 201/07
Zur Frage des mutmaßlichen Einverständnis in E-Mail-Werbung
Leitsätze
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BGH
Beschluss vom 10.12.2009
I ZR 201/07
Gründe:
I.
Die Beklagte sandte der ebenso wie sie im Kraftfahrzeughandel gewerblich
tätigen Klägerin, mit der sie zuvor keine geschäftlichen Kontakte
gehabt hatte, am 9. Juni 2006 ihr aktuelles Kfz-Händlerangebot für den
Monat Juni 2006 per elektronischer Post zu. Die Klägerin, die darum
weder gebeten noch dem ausdrücklich zugestimmt hatte, beanstandete dies
als unzulässige E-Mail-Werbung. Nachdem die Beklagte die Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung abgelehnt hatte, erwirkte die Klägerin
gegen die Beklagte eine einstweilige Verfügung und hat, nachdem diese
auch keine Abschlusserklärung abgegeben hat, im vorliegenden
Rechtsstreit Hauptsacheklage erhoben. Sie hat beantragt, Absatz 1
die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu
unterlassen, unaufgefordert im geschäftlichen Verkehr ohne Einverständnis
per E-Mail Verkaufswerbung zu versenden. Absatz 2
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten
ist ohne Erfolg geblieben (OLG Hamm MD 2008, 382). Absatz 3
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag
auf Abweisung der Klage weiterverfolgt. Nach der Zulassung der Revision
hat die Klägerin den Rechtsstreit im Hinblick auf die am 30. Dezember
2008 in Kraft getretene Neufassung des § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der
Erledigungserklärung angeschlossen. Absatz 4
II.
Die Erledigung der Hauptsache kann auch noch im Revisionsverfahren erklärt
werden (vgl. BGHZ 123, 264, 265 f.; BGH, Beschl. v. 11.12.2003 - I ZR
68/01, GRUR 2004, 350 = WRP 2004, 350 - Pyrex). Der Senat hat somit gemäß
§ 91a Absatz 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss über die Kosten zu
entscheiden. Er macht von der Möglichkeit Gebrauch, diese Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung zu treffen (§ 128 Absatz 3 ZPO). Absatz 5
III.
Die Kosten des Rechtsstreits sind der Klägerin zu 1/4 und im Übrigen
der Beklagten aufzuerlegen, weil deren Revision ohne die Änderung des
§ 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG und die daraufhin von den Parteien übereinstimmend
erklärte Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache voraussichtlich
nur insoweit Erfolg gehabt hätte, als sie zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht und dort dann zur Verurteilung der
Beklagten gemäß einem dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Absatz 2
Nr. 2 ZPO entsprechenden geänderten Klageantrag geführt hätte. Absatz
6
1. Bei der unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffenden Entscheidung gemäß
§ 91a Absatz 1 ZPO ist darauf abzustellen, inwieweit das Rechtsmittel
der Beklagten Erfolg gehabt hätte, wenn es nicht zur Erledigung der
Hauptsache gekommen wäre (vgl. BGHZ 50, 197, 199; BGH GRUR 2004, 350 -
"Pyrex", m.w.N.). Absatz 7
2. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte mit
ihrer Werbung gegen § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG (in der Fassung, in der
diese Vorschrift bis zum 30.12.2008 gegolten hat; im Weiteren: UWG 2004)
verstoßen hat. Absatz 8
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 7
Absatz 2 Nr. 3 UWG 2004 E-Mail-Werbung nicht durch ein mutmaßliches,
sondern nur durch ein ausdrückliches oder konkludentes Einverständnis
gerechtfertigt sein kann (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2008 - I ZR 197/05,
GRUR 2008, 925 Tz. 25 = WRP 2008, 1330 - FC Troschenreuth). Absatz 9
b) Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung des
Sachverhalts angenommen, die Angabe auf der Homepage der Klägerin, dass
derjenige, der mit ihr im Kontakt treten oder ihr etwas mitteilen möchte,
ihr hierzu unter anderem eine E-Mail senden könne, habe erkennbar
allein die Veräußerung von Gebrauchtfahrzeugen an Endabnehmer
betroffen und daher nicht als konkludente Einwilligung in die
streitgegenständliche E-Mail-Werbung gewertet werden können. Ein
Rechtsfehler ist insoweit nicht ersichtlich. Absatz 10
c) Entgegen der Ansicht der Revision bestanden im Streitfall keine
Anhaltspunkte dafür, dass trotz des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale
des § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG 2004 eine unzumutbare Belästigung aufgrund
einer Interessenabwägung zu verneinen sein könnte (vgl. BGH, Urt. v.
16.11.2006 - I ZR 191/03, GRUR 2007, 607 Tz. 23 = WRP 2007, 795 -
Telefonwerbung für "Individualverträge"; OLG Naumburg
K&R 2007, 274, 275 und 277 f. = DB 2007, 911 = OLG-Rep 2007, 753; Köhler
in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 7 Rdn. 2; Fezer/Mankowski,
UWG, § 7 Rdn. 32; Ohly in Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 7 Rdn. 4; Koch
in Ullmann, jurisPK-UWG, 1. Aufl., § 7 Rdn. 286). Zwar wird im
Schrifttum auch die gegenteilige Auffassung vertreten (vgl.
Harte/Henning/Ubber, UWG, 1. Aufl., § 7 Rdn. 165 m.w.N. zum -
allerdings noch vor dem Inkrafttreten des § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG 2004
veröffentlichten - Schrifttum; MünchKomm.UWG/Leible, § 7 Rdn. 63; Plaß
in HK-WettbR, 2. Aufl., § 7 Rdn. 2 und 9). Die Vertreter dieser
Auffassung weisen jedoch selbst darauf hin, dass zwingendes
Gemeinschaftsrecht die nach ihrer Auffassung vorzunehmende Gesamtabwägung
verkürzen oder ganz ausschließen kann (vgl. Harte/Henning/Ubber aaO §
7 Rdn. 165; MünchKomm.UWG/Leible, § 7 Rdn. 63; Plaß in HK-WettbR aaO
§ 7 Rdn. 6). Damit aber verbietet sich im Blick auf die Bestimmung des
Art. 13 Absatz 1 der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung
personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der
elektronischen Kommunikation eine Interessenabwägung jedenfalls bei
Telemarketingmaßnahmen, deren Adressaten natürliche Personen sind
(Harte/Henning/Ubber aaO § 7 Rdn. 165). Der deutsche Gesetzgeber hat in
der Regelung des § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG 2004 indes keinen Gebrauch von
der ihm in Art. 13 Absatz 5 der Richtlinie 2002/58/EG eröffneten Möglichkeit
gemacht, für den geschäftlichen Bereich ein niedrigeres Schutzniveau
vorzusehen (Münch-Komm.UWG/Leible, § 7 Rdn. 136 mit Hinweis auf die
Begründung des Regierungsentwurfs zum UWG 2004, BT-Drucks. 15/1487, S.
21). Damit scheidet auch in diesem Bereich eine Interessenabwägung aus.
Absatz 11
d) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass nach der Bejahung
einer unzumutbaren Belästigung i.S. des § 7 Absatz 2 UWG 2004 die
Frage eines Bagatellverstoßes nicht mehr zu prüfen ist (vgl. BGH GRUR
2007, 607 Tz. 23 - Telefonwerbung für "Individualverträge";
BGH, Urt. v. 20.9.2007 - I ZR 88/05, GRUR 2008, 189 Tz. 23 = WRP 2008,
44 - Suchmaschineneintrag). Die von der Revision angeregte Vorlage an
den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Frage,
ob Art. 5 Absatz 2 lit. b der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere
Geschäftspraktiken es gebietet, bei Bejahung einer unzumutbaren Belästigung
i.S. von Art. 8 und 9 sowie in Anh. I Nr. 26 dieser Richtlinie eine
gesonderte Prüfung des Verhaltens auf seine Eignung zur nicht nur
unerheblichen Beeinträchtigung der Interessen der Betroffenen
vorzunehmen, kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Richtlinie
2005/29/EG allein das Verhalten zwischen Unternehmern und Verbrauchern
regelt, im Streitfall aber eine wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung
zwischen zwei Unternehmern vorliegt. Außerdem lässt die Regelung in
Anlage I Nr. 26 Satz 2 der Richtlinie 2005/29/EG erkennen, dass das nach
der Richtlinie 2002/58/EG bestehende Schutzniveau (vgl. dazu oben unter
III 1 c) durch die Richtlinie 2005/29/EG nicht abgesenkt werden sollte.
Absatz 12
3. Die Revision hätte ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung
der Parteien gleichwohl Erfolg gehabt und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht geführt, weil der von der Klägerin
gestellte und vom Berufungsgericht für zulässig und begründet
erachtete Unterlassungsantrag nicht die Voraussetzungen erfüllte, unter
denen ein gesetzeswiederholender Unterlassungsantrag nach den in der
Textziffer 16 der Senatsentscheidung "Telefonwerbung für
'Individualverträge'" (GRUR 2007, 607) dargestellten Grundsätzen
ausnahmsweise als hinreichend bestimmt und damit zulässig anzusehen
ist. Wie schon die zahlreichen zu § 7 Absatz 2 Nr. 3 UWG ergangenen
Gerichtsentscheidungen sowie die einschlägige Kommentarliteratur
zeigen, ist der Wortlaut dieser Bestimmung keineswegs in so hohem Maße
eindeutig und konkret, dass sich über deren Anwendungsbereich kein
ernsthafter Streit ergeben kann oder zumindest mögliche Zweifel
hinsichtlich deren Reichweite durch eine gefestigte Auslegung geklärt
sind. Entgegen der Ansicht der Klägerin war es auch nicht Sache der
Beklagten, schlüssig darzulegen, wie anders als geschehen ein Verbot
formuliert werden könnte, sondern wäre gegebenenfalls vom
Berufungsgericht und zuvor von der Klägerin darzulegen gewesen, dass
die Antragsformulierung trotz ihrer Auslegungsbedürftigkeit zur Gewährleistung
des Rechtsschutzes im Hinblick auf die in Rede stehende Werbemethode
erforderlich war (vgl. BGH GRUR 2007, 607 Tz. 16 a.E. - Telefonwerbung für
"Individualverträge"). Absatz 13
4. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin ohne die übereinstimmende
Hauptsacheerledigungserklärung im wiedereröffneten Berufungsverfahren
einen i.S. des § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten
Klageantrag oder zumindest einen oder gegebenenfalls auch mehrere,
stufenweise enger gefasste Hilfsanträge bis hin zur konkreten
Verletzungsform gestellt und jedenfalls mit einem dieser Anträge Erfolg
gehabt hätte. Bei der Kostenentscheidung wäre sodann zu berücksichtigen
gewesen, dass die Klägerin mit ihrem ursprünglichen, mangels
Bestimmtheit zu weit reichenden Klagebegehren nur teilweise Erfolg
gehabt hat. Danach entspricht es unter Berücksichtigung des bisherigen
Sach- und Streitstandes billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreits
der Klägerin zu 1/4 und der Beklagten zu 3/4 aufzuerlegen (§ 91a
Absatz 1 Satz 1, § 92 Absatz 1 ZPO).